- home
| info
| veranstaltungen|
interviews
| fotos|
texte
| links
| filmliste
| bücherregal
| impressum
-
- "Getan haben wir gar nichts"
Nach 60 Jahren: Historiker rücken den Protest in der
Rosenstraße in neues Licht
- Von Sven Felix
Kellerhoff
-
- Entnommen aus:
http://morgenpost.berlin1.de/archiv2003/030225/feuilleton/story586921.html
-
- Ein Denkmal erinnert an ihn,
Margarethe von Trotta verfilmt ihn derzeit: Der Protest von Frauen
in der Rosenstraße gegen die Deportation ihrer
jüdischen Männer 1943 ist ein wichtiges Datum. Aber was
geschah wirklich?
-
- Widerstand gegen den Holocaust
war möglich. Das ist die Botschaft, die seit Jahrzehnten mit
dem Namen der Berliner Rosenstraße verknüpft wird. Vor
genau sechzig Jahren, nachdem Ende Februar 1943 die letzten
wenigen tausend Berliner Juden verhaftet worden waren,
protestierten Anfang März die "arischen" Ehefrauen einiger
verhafteter Männer vor dem Gebäude Rosenstraße Nr.
2-4. Nach der gängigen Darstellung knickte die SS ein,
ließ die in "Mischehen" lebenden Männer wieder frei und
deportierte "nur" jene Juden, die bis dahin als Zwangsarbeiter in
Berliner Betrieben gearbeitet hatten.
-
- Schon im Dezember 1945 erschien
in der Wochenzeitschrift "Sie" ein längerer Artikel über
diesen "Aufstand der Frauen". In dem Artikel hieß es: "Da
griffen die Frauen ein. Bereits in den Morgenstunden des
nächsten Tages hatten sie den Aufenthalt ihrer Männer
aufgespürt und wie auf Verabredung, wie auf einen Ruf hin
erschienen sie in Massen vor dem improvisierten Gefängnis.
Vergeblich bemühten sich die Beamten der Schutzpolizei, die
Demonstrantinnen - etwa 6000 - abzudrängen und auseinander
zubringen. Immer wieder sammelten sie sich, drängten sie vor,
riefen sie nach ihren Männern und forderten
Freilassung."
-
- Zwei Berliner Historiker
stellen jetzt dieses Bild von den Vorgängen in der
Rosenstraße in Zweifel. Wolf Gruner analysiert im "Jahrbuch
für Antisemitismusforschung" alle vorhandenen Quellen;
Susanne Willems rückt die Rolle Albert Speers in ein neues
Licht. Beide Arbeiten sind unbequem, weil sie vertraute
Gewissheiten dekonstruieren.
-
- Aus den von Gruner erstmals
ausgewerteten Akten ergibt sich, "dass das
Reichssicherheitshauptamt die Juden aus ,Mischehen' zu diesem
Zeitpunkt nicht abtransportieren wollte". Die rund 2000
Männer, die im ehemaligen "Jüdischen Arbeitsamt"
interniert wurden, seien "zusammengezogen" worden, "um aus ihrem
Kreis mehrere hundert neue Beschäftigte für die
jüdischen Einrichtungen zu rekrutieren. Über 200 Juden
aus ,Mischehen' ersetzten ca. 450 ,volljüdische'
Beschäftigte der Reichsvereinigung, der Jüdischen
Gemeinde und ihres Krankenhauses, die daraufhin mit ihren Familien
bis Mitte März deportiert wurden".
-
- Da die Gestapo nicht vorhatte,
die Internierten in der Rosenstraße sofort in Todeszüge
zu schicken, wurde ihre Freilassung auch nicht durch den Protest
erreicht - der laut Gruner übrigens weniger dramatisch war
als meist geschildert. Ursula Braun etwa erinnerte sich: "Getan
haben wir in der Rosenstraße gar nichts. Ich bin da hin- und
hergegangen. Man hat sich unterhalten. Aber ansonsten konnten wir
nichts machen."
-
- In den Originalakten jener Zeit
fand Gruner keinen Hinweis auf eine "Demonstration". Auch haben
eine Reihe seriöser Untersuchungen die Zahl der
protestierenden Frauen immer weiter reduziert: Von rund 6000 auf
zuerst 2000, dann auf 600 Frauen gleichzeitig und
schließlich auf 1000 Personen insgesamt. Gruner
schmälert aber keineswegs den Mut der Frauen, die sich
spontan und um ihre Männer zu retten in der Rosenstraße
versammelten. Nur konnten sie gar nichts verhindern, weil die
Gestapo zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorhatte, ihre Männer
zu deportieren.
-
- Susanne Willems leuchtet einen
anderen Aspekt dieser antijüdischen "Maßnahme" aus.
Denn eigentlicher verantwortlich für die Verhaftungswelle der
letzten verbliebenen jüdischen Berliner war Albert Speer,
jahrlang als "Generalbauinspekteur" für den "Umbau" Berlins
zur Welthauptstadt "Germania" verantwortlich, aber seit Anfang
1942 vor allem als Hitlers Rüstungsminister
tätig.
-
- Speer hat entgegen seinen
Aussagen vor dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Tribunal
wesentlichen Einfluss auf die Deportation der Berliner Juden
genommen, wie Susanne Willems ebenfalls anhand bislang
unbeachteter Akten nachweisen kann. Am 27. Februar 1943 begannen
die Massenverhaftungen in Berlin, in deren Verlauf auch die noch
nicht zur Deportation "vorgesehenen" Juden aus "Mischehen"
verhaftet wurden. Wie die vorhergehenden "Aktionen"ging auch diese
auf eine Anordnung zurück, die Speer schon 1941 gegeben
hatte.
-
- Diese unbequemen Erkenntnisse
lassen den Protest der Frauen in der Rosenstraße weiter als
höchst ehrenvollen Akt erscheinen, an den zu Recht erinnert
wird. Nur kann man nicht mehr länger diesen Protest als Beleg
für die These anführen, selbst 1943 wäre der
Holocaust noch durch die Bevölkerung zu stoppen gewesen. So
nämlich ließen sich die furchtbaren Versäumnisse,
Fehler und skrupellosen Bereicherungen vieler Deutscher, die den
millionenfachen Mord erst ermöglicht hatten, nicht
korrigieren.
-
- © Berliner Morgenpost
2003, Dienstag, 25. Februar 2003
-