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- Hintergründe des
Geschehens (Textauszug)
- von Gernot
Jochheim
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- Entnommen aus: Jochheim, Gernot
(2002) Frauenprotest in der Rosenstrasse Berlin 1943. Berichte -
Dokumente - Hintergründe. Teetz: Hentrich & Hentrich. S.
29-32.
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- (...) Im wesentlichen auf dem
Hintergrund der genannten Quellen kam ich 1993 zusammenfassend zu
folgender Einschätzung:
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- »Die Vermutung erscheint
zumindest nicht abwegig, daß die Protestaktionen in der
Posenstraße und in der Großen Hamburger Straße
Gruppen innerhalb der breiteren Nazi-Führung gestärkt
haben, die entweder - aus welchen Gründen auch immer -
Hemmungen hatten, mit der Konsequenz Goebbelscher Prägung bei
den Deportationen zu verfahren, oder denen es aufgrund der
allgemeinen schlechten Stimmung in der Berliner Bevölkerung
nach Stalingrad und dem großen Luftangriff auf Berlin vom 1.
auf den 2. März 1943 nicht opportun erschien, mit jener
Radikalität zu verfahren. Vermutlich hat beides
zusammengewirkt.
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- Wie auch immer die
Gegebenheiten gewesen sein mögen, die mutigen Protestaktionen
von vielen hundert Menschen in der Rosenstraße und in der
Großen Hamburger Straße sind eine einmalige
Widerstandshandlung in Nazi-Deutschland gewesen.«
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- Mittlerweile sind Dokumente
aufgetaucht, die zu belegen scheinen, daß im Zuge der
antijüdischen Aktion vom 27. Februar 1943 - einer Aktion
nicht allein in Berlin, sondern im gesamten Reichsgebiet - die
jüdischen Partner in »Mischehen« (noch) nicht
deponiert werden sollten. Dies geht aus Rundschreiben
örtlicher Stellen der Geheimen Staatspollzel an
Landratsämter im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der
Aktion hervor. Mir liegen derartige Schreiben (verschiedenen
Wortlauts, aber tendenziell gleichen Inhalts) von den
Staatspolizeistellen Dortmund und Frankfurt/Oder vor. Deren
Kernaussage: jüdische Teile in »Mischehen« sind von
der »Entjudung des Reichsgebietes« (so ein Betreff)
ausgenommen. In dem Schreiben der Gestapo Dortmund werden auch die
»Mischlinge« ausdrücklich genannt. Ansonsten darf
unterstellt werden, daß für die Kinder aus
»Mischehen« Gleiches zu gelten hatte wie für deren
jüdischen Elterntell. Im folgenden ist der Wortlaut des
Schreibens der Gestapo Frankfurt/Oder wiedergegeben.
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- Diese neueren Kenntnisse sind
nun keineswegs dazu angetan, die Protestationen in der
Rosenstraße und der Großen Hamburger Straße in
ihrer Bedeutung zu relativieren. Die Angehörigen der
Gefangenen hatten angesichts der »Fabrik-Aktion« und der
damit einhergehenden forcierten Deportationen allen Grund,
für ihre jüdischen Ehepartner und ihre Kinder das
Schlimmste zu befürchten. Und wenn es nach der
»Fabrik-Aktion« auch einzelne Entlassungen von
»arisch Versippten« und »Mischlingen« gegeben
hatte, so waren die allermeisten doch in das für diesen
Personenkreis offenbar eigens eingerichtete Sammellager in der
Rosenstraße gekommen, wo sie unter menschenunwürdigen
Bedingungen tagelang darüber im unklaren gelassen wurden, was
überhaupt mit ihnen geschehen würde.
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- Und es kam, wie in diesem Buch
präsentierte Berichte von Zeitzeuginnen belegen, im Laufe der
Tage nach dem 27. Februar zu weiteren Gefangennahmen, ja zu
wiederholten Festnahmen von ein und derselben Person. Ein
Zwangsaufenthalt von einer Woche und länger, nur um eine
Registrierung von Menschen durchzuführen, die ohnehin
vielfach registriert waren, mit all den organisatorischen
Notwendigkeiten, die für diese mehr als tausend Menschen zu
regeln waren, erscheint nicht ohne weiteres erklärbar zu
sein. Andererseits wissen wir, daß bei der Judenverfolgung
auf Seiten der Nazis irgendwelche zweckrationalen Erwägungen
nie eine Rolle gespielt haben.
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- Ausdrücklich als Vermutung
möchte ich folgende Überlegung vorbringen: Gab es im
Reichsicherheitshauptamt möglicherweise Kräfte, denen
es, sagen wir, schwergefallen ist, die »arisch
Versippten« und die gefangenen »Mischlinge« wieder
freizulassen, wenn sie nun schon einmal in so großer Zahl
gefangengenommen worden waren?
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- Diese Überlegung
korrespondiert mit der These von Beate Meyer, wonach die
Einbeziehung der »arisch Versippten« in die
»Fabrik-Aktion« in Berlin als Versuch der Gestapo
angesehen werden könne, »eine Radikallsierung der
Politik gegen die Mischehen ,von unten' voranzutreiben.«
(Meyer, Beate (1995, S.138).
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- Zudem gibt es in Hinblick auf
einige Fakten nach wie vor Erklärungsbedarf. Wie ist es
überhaupt zu begründen, daß Goebbels einen
ausdrücklichen »Befehl« erteilt, die Gefangenen zu
entlassen, wenn die betroffenen Menschen ohnehin nicht deportiert
werden sollten? Müßte man nicht außerdem in
Betracht ziehen, daß Berlin, die Reichshauptstadt, deren
Gauleiter seit 1926 Goebbels war, hinsichtlich der Nazi-Politik
gegenüber Juden ein anderer Raum war als etwa eine Stadt wie
Dortmund oder irgendwelche Landkreise im Reich? Jedenfalls
notierte Goebbels in seinem Tagebuch sehr häufig die
Zustimmung Hitlers zu seinen antijüdischen Maßnahmen in
Berlin, was irn übrigen bisweilen wie ein infantiles
Bemühen um Anerkennung anmutet.
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- Goebbels erwähnt in seinem
Tagebucheintrag vom 11. März 1943 die
»Fabrik-Aktion« abermals, wobei er auf die
stimmungsmäßigen Reaktionen innerhalb der
»Mischehen«, jedoch einzig innerhalb der
»privilegierten Mischehen«, eingeht. Die jüdischen
Teile dieser Ehen, so läßt sich die Passage
interpretieren, hätten offenbar auch nach seiner Vorstellung
von einer Gefangennahme - er spricht vom »Verhaften« -
ausgenommen werden sollen.
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- Bei einer Würdigung des
Frauenprotestes in der Rosenstraße darf zudem nicht
außer acht gelassen werden, daß im
NS-Herrschaftssystem Vorgänge dieser Art auf die
Entscheidungsträger nicht allein eine aktuelle, sondern auch
eine nachhaltige Wirkung gehabt haben können. Immerhin hat es
trotz des Vorsatzes von Goebbels und anderer Rassenideologen,
keine Versuche mehr gegeben, die »Mischehen- und
Mischlingsfrage« im Sinne der Rassenideologen zu lösen.
Sehr zum Ärger von Goebbels waren in Berlin bis zum letzten
Kriegstag viele hundert »Sternträger« im Stadtbild
zu sehen.
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