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Interview Frau und Herr B.

 
1 (HINTERGRUND)
 
Frau B.: Mein Mann und ich, wir waren damals befreundet.
 
Herr B.: Den Hintergrund bilden die sogenannten Nürnberger Gesetze. Darin haben ja die Nazis zu definieren versucht, wer nun Mitglied der sogenannten "Volksgemeinschaft" sei und wer ..... es wert sei, vernichtet zu werden. Das war ja dann das Endziel. Da mußten die Nazis erst mit Paragraphen selektieren, später haben sie es mit dem ausgestreckten Finger an der Rampe gemacht. So hat es einerseits sogenannte "rassische Merkmale" gegeben. Da, wo man nicht mehr weiter wußte, hatte man nach Religionszugehörigkeit verfahren. So wie in unserem Falle: christlich erzogen - (das bedeutete) nicht Sternträger; hingegen Mitglied der jüdischen Gemeinde - Sternträger. Mit einem Mal war es die Religion.
 
Frau B.: Also ich war Christin. (Deshalb mußte ich keinen Stern tragen.) Aber zur Zwangsarbeit mußte ich. Natürlich waren die Sternträger gefährdeter.
 
2 (GEFANGENNAHME)
 
Herr B.: Die "Judenaktion" im Februar 1943 war raffiniert organisiert worden: man hat die Juden an den wenigen Zentren der Arbeitsstätten dort per Lastwagen eingesammelt. Ich war damals 21 Jahre und habe als Zwangsarbeiter bei Firma Graetz in Treptow gearbeitet. Damals waren dort vielleicht über 100 Sternträger beschäftigt. Da ging's eben für die meisten per LKW zum Sammellager in der Großen Hamburger Straße.
 
Ich selber habe es jedoch anders erlebt. Ich war krank geschrieben und wurde am Tag darauf morgens aus dem Bett geholt. Und meinen Vater - ich seh' den heute noch vor der Tür stehen - haben sie zu Hause gelassen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht war er ihnen zu alt. Ich weiß es nicht.
 
Frau B.: Ich arbeitete als Zwangsarbeiterin bei einer Baufirma in Berlin, als mich in meinem Büro meine spätere Schwiegermutter anrief: "eben war der Lastwagen da". Das hieß: mein Freund war abgeholt worden.
 
Ich versuchte von der Arbeit frei zu bekommen und ging zur Rosenstraße.
 
3 (SAMMELLAGER GROSSE HAMBURGER STRASSE)
 
Herr B.: Ich weiß eigentlich nur von der Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße. Da ist selektiert worden. In den ein, zwei Tagen, in denen ich dort gefangen gehalten wurde (die Dauer kann ich auch nur noch schätzen), hatten wir auch Freigang. War es eine Schule? Ich weiß es nicht mehr. Wir konnten jedenfalls auf den Hof. Man hat eine Menge Leute gekannt, weil ich vorher eine jüdische Fachschule für Mode, Grafik und Dekoration besucht hatte. Und da hat man sich wiedergetroffen, miteinander gesprochen und ausgetauscht.
 
4 (STÄNDIGE BEDROHUNG)
 
Herr B.: Wenn ich sagen sollte, das war so eine unheimliche Angstsituation auch bei Älteren, dann würde das nicht stimmen. Aber vielleicht läßt sich das psychisch erklären: vielleicht gab es eine Angst, die über allem stand, so daß man die Angst des Augenblicks eigentlich gar nicht zu spüren bekam. Es gibt ja auch verschiedene Schmerzen, wo ein Schmerz den anderen wegdrängt.
 
Frau B.: Wir standen all die Jahre unter fortwährender Bedrohung. Man hat viele strafbare Handlungen begangen. Man hat Untergetauchten geholfen. Man hat ihnen Lebensmittel beschafft. Man hat Untergetauchte nachts von einem Platz zum anderen gebracht. Schon allein die englischen Sender abzuhören, war strafbar. Aber alles das war für uns lebensnotwendig. Aber es war eine illegale Handlung. Wir befanden uns immerfort in dieser Bedrohung. Aber das Bedrängtsein und die Angst waren die ausschlaggebenden Momente in dieser Zeit.
 
5 (GROSSE HAMBURGER STRASSE: SELEKTION)
 
Herr B.: Dann kam dieses Selektionsverfahren. Man wurde dort in der Großen Hamburger befragt und mußte seine Unterlagen abgeben.
 
Man darf sicher - auch bei Ihren Untersuchungen - nicht verkennen, daß dies eigentlich der erste Schritt zur Entlassung war, wenn man aus der Großen Hamburger aussortiert wurde. Denn ich muß davon ausgehen, daß in der Rosenstraße weitgehend alle - zumindest die ich dort kennengelernt habe - nach Hause entlassen wurden.
 
Am Tag darauf wurden wir wiederum auf LKWs aufgeladen und zur Rosenstraße transportiert.
 
6 (ROSENSTRASSE Teil 1)
 
Frau B.: Also, dann bin ich in die Rosenstraße gelaufen. Dort warteten schon Frauen vor den Toren des Sammellagers Rosenstraße. Noch nicht so viele wie am nächsten Morgen. Aber es waren bereits sehr viele. Es waren ja nicht nur Frauen. Es waren auch ein paar Männer dabei. Einige gingen auf und ab. Autos mit Festgenommenen fuhren vor. Die fuhren in diesen Hof rein und man konnte nichts sehen. Es kamen immer wieder Autos. Polizisten standen bereits herum. Auch sie gingen auf und ab. Wieviel Polizei - kann ich heute nicht mehr sagen. Und am nächsten Tag waren es noch mehr.
 
Die anderen vor der Rosenstraße Stehenden waren ja alle älter als ich. Ich war eine der Jüngsten. Die Älteren hatten schon untereinander Kontakte. Die eine oder andere kannte sich und man wußte abends schon, daß man da morgens ganz früh wieder hingeht. Eine Verkäuferin meines Vaters, die von mir nicht wußte, aber von der ich wußte, daß ihr Mann Jude war, flüsterte: "Wir haben uns besprochen. Wir sind morgen früh wieder da."
 
Herr B.: Der Raum in der Rosenstraße, der war größer als dieser Raum hier, in dem wir gerade sprechen, mit seinen vier mal vier Metern. Der Raum: voller Matrazen. Wir waren vielleicht zu zwölft, zu fünfzehnt. Die Bewegungsmöglichkeiten waren begrenzt. Man konnte mal zum Flur, zur Toilette gehen. Aber da traf man dann auch mal andere aus anderen Räumen und so gab es die Information, daß da etwas auf der Straße lief. Davon haben wir sehr wohl gehört. Ich kann nicht einmal sagen, ob die Räume zur Straße hin eigentlich belegt waren, so daß diejenigen, die dort eingekastet waren, nach draußen Kontakt hatten. Dann hätte man ja von draußen nach drinnen Kontakt gehabt.
 
7 (BOMBARDIERUNG)
 
Frau B.: Abends bin ich von der Rosenstraße aus hierher nach Schöneberg zur Karl-Schrader-Straße gegangen. Mein Bruder war gerade an diesem Wochenende hier hingezogen. Und da noch keiner von dieser Wohnung wußte, haben wir meine Mutter hier hingebracht. Wir sind dann abends, als ich von der Rosenstraße kam, alle in dieser Wohnung zusammen gewesen. Da fiel die erste Luftmine.
 
Es knallte dermaßen, wie wir es noch nie erlebt hatten. Eine Straße weiter ging in Schöneberg die erste Luftmine nieder. Es hieß: alles aus dem Keller. Man bildete Ketten, um Wassereimer zu den Brandherden zu schleppen. Das ging die ganze Nacht durch. Bis morgens früh, bis vier Uhr, fünf Uhr.
 
Ich hatte dabei immer nur im Kopf: was passiert da in der Rosenstraße? Das war mein Denken. Am liebsten hätte ich überhaupt nichts gelöscht. Aber wenn man dann die Leute in der Not sah ... es war so etwas Furchtbares in dieser Nacht.
 
Herr B.: Als in der Nacht - wir wußten ja nicht, daß es die Engländer waren - sie diesen großen Angriff auf Berlin absolvierten, da war in unserem Raum - das weiß ich noch wie heute - sogar eine Genugtuung. Das waren Bombardierungen mit den ersten großen schrecklichen Folgen für diese Stadt. Aber bei uns machte sich so etwas wie Genugtuung breit, als wir das Krachen hörten. Weil man meinte, das wäre eine Reaktion auf diese Judenaktion. Damals meinte man das. Ich glaube, ein solcher Zusammenhang konnte nachher wohl nicht bestätigt werden.
 
Frau B.: Am nächsten Morgen bin ich von hier aus zur Rosenstraße gegangen. Ich war noch so erfüllt von Wut, auch von dem Elend, was man hier sah. Das hier und das andere Elend dazu .... also es war fürchterlich.
 
8 (ROSENSTRASSE Teil 2)
 
Frau B.: Am nächsten Morgen war ich schon wieder sehr früh in der Rosenstraße. Es war ein ziemlicher Auflauf. Dieser Tag war eigentlich der Tag des großen Protestes. Da waren also die Bürgersteige wirklich voller Frauen; hauptsächlich Frauen. Und wir sind stur hin und her, auf und ab gegangen. Überall stand Polizei herum.
 
Dann kamen die Rufe: "Gebt uns unsere Männer zurück." Die Gestapo versuchte, die Frauen auseinander zu treiben. Sie drohte. Es war ein unheimliches Gefühl. Aber die Beklemmung, daß derjenige eingesperrt worden ist, den ich wiederhaben wollte, die war noch größer.
 
Ob die Polizei eingegriffen hat? Ja als sie anfingen zu rufen, das war natürlich etwas, was - in deren Augen - nicht passieren durfte. Man war aufgeregt, hat nicht alles mitgekriegt. Es war ja auch eine verhältnismäßig große Fläche in der Rosenstraße. Man konnte nicht alles übersehen. Ich habe es als Platz in Erinnerung. Wir haben mal versucht, uns das nocheinmal anzuschauen. Ich habe keine direkte Eingriffe der Polizei in Erinnerung. Daß die dauernd durchgingen und "Weitergehen" sagten, das erinnere ich noch.
 
Eingeschüchtert fühlte ich mich nicht. Wie es den anderen ging, weiß ich nicht. (Man kann in die anderen Menschen nicht reinsehen.) Aber ich hatte, als ich so mit der Frau J. da stand, und den anderen älteren Frauen um mich herum, das Gefühl, daß da eigentlich nicht die Angst bestimmend war. Eher ging es darum: zu warten und zu sehen, was wird.
 
 
Dieses Wissen darum, was passiert, weil wir es an unseren Geschwistern ja schon erlebt hatten und weil wir um unsere jüdischen Elternteile Angst hatten, das hat Mut ... , nein es war kein Mut, es war Verzweiflung. Eigentlich nur Verzweiflung. Aber, daß man in so einer Gemeinschaft war, daß es so viele waren, die von diesem schrecklichen Geschehen betroffen waren, daß man nicht als Einzelkämpfer da war, das war schon ermutigend.
 
Wir haben vor der Rosenstraße miteinander gesprochen. Man hat sich gegenseitig Mut gemacht. Man hat sich gesagt, daß sie an die Mischlinge nicht 'ran gehen würden. Aber das konnte auch nur ein Vorwand sein, um sich ein wenig Hoffnung zu machen. Letztenendes mußte man alleine damit fertig werden.
 
9 (ENTLASSUNG)
 
Herr B.: Und dann kam der Zeitpunkt, an dem man seine Papiere wieder bekam. Es ist also anzunehmen, daß die SS-Leute sich in der Zwischenzeit bei dem zuständigen Polizeirevier erkundigt haben. Das war ja das Indiz: man mußte nicht nur ein arisches Elternteil oder einen Ehepartner haben, sondern mußte bei ihm auch wohnen. Das war doch das Entscheidende. Auf dem Polizeirevier wurde das überprüft und fesgestellt: ja, dieselbe Adresse. Erst daraufhin wurde man entlassen. Warum alle, soweit ich das beurteilen kann, trotz dieser Überprüfung entlassen wurden? Ich nehme an, daß bei der Befragung zuvor in der Großen Hamburger schon jeder so ausgesagt hat, daß ihm nachher nichts Negatives in der Rosenstraße blühen konnte. Denn es hatte auch jeder diese Art von mit Angst verbundener preußischer Ehrlichkeit, ja keine falsche Angaben zu machen. (Diese Haltung war unter Juden sehr verbreitet.)
 
Das Überreichen der Papiere war eine Prozedur. Es ging einzeln vor sich. Im Nachhinein verstehe ich das gut: man wollte verhindern, daß ein geballte Menge auf der Straße erscheint.
 
Ich konnte mit der S-Bahn fahren, weil als Zwangsarbeiter besaß man so einen grünen Ausweis als Ausnahmegenehmigung.
 
Frau B.: Also ich hab's kaum für möglich gehalten als meine Schwiegermutter anrief, daß du nach Hause gekommen bist.
 
Meine alten Schwiegereltern waren völlig hilflos. Die zwei alten Leute waren allein und hatten kaum noch Hoffnung, daß ihr Sohn noch wiederkommt. Bis ... ich weiß heute nicht mehr, wieviel Tage es waren ... bis ich einen Anruf im Geschäft bekam, daß er wieder frei ist. Das war eine Situation, an die man nicht zu glauben gewagt hatte. Ich war völlig fassungslos. Dann bin ich natürlich abends sofort raus: und dann war er wirklich da.
 
10 (DANACH)
 
Und als ich das erste Mal nach meiner Entlassung wieder zur Arbeit ging - nicht wieder zu Graetz, aber ich mußte mir bei Graetz in Treptow wieder die Papiere abholen - und als ich da mit meinem Stern in der Elsenstraße auftauchte, hat mich eine wildfremde Frau umarmt und hat gesagt: "Ach Jungchen, daß de wieder da bist." Also die Berliner wußten wenigstens teilweise davon. Wenn sie offene Augen und Ohren hatten. Und es gab eben auch Leute, die das einem auch ab und zu auf offener Straße zeigten. Dazu gehörte ja nun wirklich Mut. Manchmal genügte ja schon nur ein einziges Wort, um hingerichtet zu werden.
 
11 (WIDERSTAND WAR MÖGLICH: GROSSES FRAGEZEICHEN)
 
Herr B.: Über den Protest in der Rosenstraße ist ja viel spekuliert worden. Für mich ist das Thema eigentlich erst wieder wachgerufen worden durch Herrn Stoltzfus aus Amerika, der darüber gearbeitet hat und der sehr viele befragt hat. Sein Ansatzpunkt, seine Motivation war: Widerstand war möglich. Ich muß da ein großes Fragezeichen dahinter setzen. Also ich kann mir vorstellen, wenn man uns damals nicht in die Große Hamburger Straße und nachher in die Rosenstraße, sondern uns in Lager außerhalb von Berlin untergebracht hätte, dann ....
 
Andererseits wäre es auch für die Polizei eine Kleinigkeit gewesen, die Rosenstraße zu räumen. Da hatte man also innerhalb Berlins also offensichtlich doch ein bißchen Manschetten.
 
Frau B.: Das war schon erstaunlich. Der Mut nach diesen Jahren, die wir schon hinter uns hatten. Aber von unserer damaligen Sicht aus, hat es nichts genutzt. Und ob die Proteste in der Rosenstraße wirklich der Grund waren, daß ein Teil wieder frei kamen? Ich nehme an, das lag in ihrem Plan. Soviel konnten sie im Augenblick nicht unterbringen.
 
Ob die Entlassungen durch die Ansammlungen, Versammlungen draußen bewirkt wurden? Also ich muß ehrlich sagen: ich hatte nicht das Gefühl. Aber ich weiß, Herr Stoltzfus wollte, daß ich das Gefühl habe. (Großes Lachen.)
 
Diese Frauen haben gekämpft für ihre Männer. Sie sind bei ihnen geblieben; die ganzen Jahre. Ich wüßte - aus der Verwandtschaft, Bekanntschaft - nicht einen Fall, wo der "arische Teil" weggegangen ist und sich zum Beispiel hat scheiden lassen. Daß dieses Kämpfen irgendwie umsonst sein sollte, diese vielen Jahre, die sie miteinander in diesem Elend verbracht hatten, das wollte keine wahrhaben. Das war in der Rosenstraße schon ein Kampf - aber ein Kampf der Verzweiflung.
 
Ein Ende des Schreckens war auch nach der Entlassung aus der Rosenstraße nicht abzusehen. Wir haben immer noch damit gerechnet, daß wenn die Nazis klein beigeben würden müssen, daß sie dann in letzter Minute die Mischlinge abholen würden.
 
Herr B.: Ich halte diese politische Erwägung - ehrlich gesagt - für zweitrangig. Was ich für bedeutsamer halte: daß der größte Teil der sogenannten arischen Elternteile bzw. Ehegatten das überhaupt durchgehalten hat; daß sie es über die ganze Zeit durchgestanden haben; nicht nur zu diesem Zeitpunkt. An diesem Punkt - dem Protest in der Rosenstraße - wurde diese beständige Haltung eben auch öffentlich. Was es bewirkt hat? Ich glaube, da kann man mit drei Fragezeichen auseinander gehen.
 
12 (DIE JAHRE DANACH)
 
Herr B.: Sie wissen möglicherweise - vom persönlichen Erleben nun mal abgesehen - mehr von der Vorgeschichte als ich, auch wie die Gesamtaktion lief. Denn da hat man als Betroffener keine großen Untersuchungen nachträglich angestellt.
 
Das gehört natürlich auch zu diesem Verdrängungsprozeß hier auf der Seite der Opfer. Wir haben einen Freund, der - in ähnlicher Situation wie wir - später nach Amerika ausgewandert ist. Als Bibliothekar an einer Universität schrieb er uns laufend, welche Bücher von Betroffenen inzwischen erschienen sind. Ich glaube wir haben von den 7 bis 8 Titeln, die er uns geschickt hat, nicht ein einziges Buch gelesen. Das ist von uns beiseite geschoben worden.
 
Frau B.: Ich konnte auch keinen Film zu solchen Themen sehen. Ich habe noch mindestens vier, fünf, sechs Jahre, ach noch länger fürchterliche Träume gehabt.
Herr B.: Sehr bewußt aufgefrischt haben wir unsere Erfahrungen gegenüber unseren Kindern. Wir haben sechs Kinder. Da sahen wir unsere Verpflichtung, von unserer Geschichte in den politischen Zusammenhängen Bericht zu geben. Dadurch ist die Erinnerung bei uns in den - sagen wir einmal - 60er Jahren wieder lebendiger geworden. In der Öffentlichkeit ist dieser Prozeß ja eigentlich erst Ende der siebziger, achtziger Jahre in Gang gekommen.
 
Also Sie merken es ja an meiner Frau, daß ihre Stimme ans Zittern kommt, wenn sie nur an die Zeit denkt. Daraus wird verständlich, daß wir es nicht darauf angelegt hatten, mit jedem darüber ins Gespräch zu kommen. Sondern nur dann darüber sprachen, wenn es eine Herzensangelegenheit war.
 
Frau B.: Wir haben in den nachfolgenden Jahren sehr Verschiedenes erlebt. Einmal dachte ich in Westdeutschland, ich werde verrückt. In Osnabrück - einer unserer Söhne hat da studiert - da kommt an so einem Markttag diese SS, ach Quatsch, diese Nazi-Jugend mit Fahnen und mit diesen Landsknechtstrommeln. Das kannten wir ja noch aus den Nazi-Zeiten zu gut. Also ich konnte nicht mehr. Ich bin beinahe durchgedreht. Aber da wollte ich auch gleich an den Bürgermeister schreiben. Also, daß es nach so vielen Jahren so etwas noch gab. Und da muß ich sagen, da war ich wirklich von den anderen Jugendlichen begeistert. Die sind hinterhergelaufen, haben die angegriffen und fürchterlich beschimpft.